30 April 2014

Ulmer Schachtel

MAGYARUL

"Die ersten fanden den Tod,
die zweiten hatten die Not,
und die dritten erst das Brot."

Ulmer Schachtel auf dem Weg nach Plintenburg
  


Nagy Imre, der kommunistische Innenminister hat die Verordnung Nr. 70.010 vom Jahr 1946 über Regelung der Aussiedlung der Ungarndeutscher vorgelegt, auf dem Grund bis 1948 185.000 Menschen wegen Kollektivschuld die Staatsbürgerschaft aberkannt und enteignet wurde. Somit wurden die Männer, Frauen und Kinder aus den Internierungslagern in die Viehwagen getrieben, die oft nicht einmal ihre Habe mitnehmen durften. In den Scenen des nachfolgenden propagandistischen Nachrichtenfilms könnten die Schwaben beliebig auch durch Juden, Ungarn, Slowaken, oder sonstige Minderheiten ersetzt werden.
 


Mit dem ersten Transport im Viehwagen ist es bereits im Januar 1946 losgegangen, wonach die Aussiedlung dann zwei Jahre lang gedauert hat. Der Anteil der „Unschuldigen“, die bleiben durften, wurde offiziell zu 10% festgelegt. Für die Organe der Innenangelegenheiten war die Unschuld meistens durch eine Unterlage bewiesen: den Mitgliedsausweis der Kommunistischen Partei. In die leer werdenden Häuser der Schwaben sind neue Einwohner gezogen: die ähnlich vertriebenen Ungarn aus dem zur Slowakei gehörenden Oberungarn.

Aber wann und wie sind die Schwaben denn nach Ungarn gekommen?
 

Natürlich auf der Donau! In der Stadt Ulm wird der Ufer bis heute Donauschwabenufer genannt, wo damals die Vorfahren der Schwaben in die Schiffe gestiegen sind, um in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Richtung Osten zu wandern. Neben Ulm auch Günzburg und Regensburg waren weitere Sammelorte an der Donau, wo Leute aus allen Ecken des deutschen Sprachgebiets auf den Einstieg auf ein Richtung Ungarn fahrendes Schiff gewartet haben.
 


Die drei großen Ansiedlungswellen werden Schwabenzug genannt, obwohl nur ein kleiner Teil der Siedler in der Tat Schwaben waren. Außer ihnen sind Elsässer, Schweizer, Franken und Badener gekommen, ebenso wie viele aus Bamberg, Würzburg, Mainz, Speyer, Trier und Freiburg, sogar aus Steiermark, Lothringen und Tirol. Bereits 1693 wurde Pilisvörösvár (Werischwar) als ein schwäbisches Dorf bezeichnet, die größere Ansiedlungswelle ist jedoch erst im 18. Jh. angelaufen (1. Welle zw. 1722 und 1726 – Karl III, 2. Welle zw. 1763 und 1773 – Maria Theresia, 3. Welle zw. 1782 und 1787 – Joseph II.). Es handelt sich hier nicht nur um Ansiedlungen, die durch den Wiener Hof organisiert wurden, der ungarische Adel hat Menschen für die im Westen menschenleer gewordenen Anwesen genauso rekrutiert. Neben den Deutschen sind Spanier, Katalanen (Nagybecskerek bedeutet so gut wie Neubarcelona) und Französen ebenso gekommen. Unter den ungarischen hohen Adligen war Graf Károlyi Sándor der Bahnbrecher bei der Anwerbung der deutschen Siedler.
Die Kehlheimer Plätte

Ulmer Schachtel
 
Wie ist denn dieser „Drang nach Osten“ vor sich gegangen? Was für die Siedler im wilden Westen der Planwagen war, waren es die Ulmer Schachteln und die Kelheimer Riesenplätten für die Schwaben. Diese zwei Typen von Schiffen waren die häufigsten im damaligen Schiffverkehr auf der oberen Donau, wobei den größeren Ruf die Ulmer Schachtel hat. Ihre Länge hat 60 Fuß betragen, die Breite 15 Fuß bei einem Tiefgang von 3 Fuß, und die maximale Belastung war etwa 20 Tonnen. Die hauptsächlich für die Steuerung eingesetzten langen Ruder wurden von der 6 bis 8 köpfigen Mannschaft bedient. Der Aufbau wurde aus roh bearbeitetem Holz zusammengezimmert, in dem die Siedler die lange Reisezeit verbringen konnten. Die Reise war recht lang, denn die Schachteln konnten nur tagsüber vorwärts kommen, damit ein Stranden vermieden und das gute Geschäft nicht riskiert wurde. Ein solches Schiffwerk war etwa 200 Gulden wert, die Reise selbst hat 20 Gulden gekostet. Die Reise wurde von den Siedlern nur bis zur Grenze des ungarischen Königreichs bezahlt, von da an haben die anwerbenden Adligen die Reisekosten übernommen. Was aber ist mit dem Schiff geschehen, das weder durch menschliche Kraft, noch von Tieren gezogen, sondern lediglich durch die damals ziemlich langsame Strömung der Donau vorangetrieben wurde?
 
"Die Steinbrücke und eine Gedenktafel in Regensburg erinnern uns an das Donaufer von wo auch viele unserer Ahnen die Ulmer Schachteln oder die Kehlheimer Plätten bestiegen."

Die Ulmer Schachteln wurden am Ziel einfach zerlegt und zu Holzpreis verkauft. Das kam einerseits den Holzhändlern gelegen, es wäre ja einfach unmöglich gewesen eine solch große Konstruktion gegen die Strömung und ohne ausgebaute Ziehwege bis nach Regenburg zu schleppen. Anderseits war es auch den Siedlern passend. Das ungarische Tiefland hat damals ausgesehen, wie, um beim amerikanischen Beispiel zu bleiben, die Prärie. Im Komitat Békés sind z.B. weniger Bäume übriggeblieben, als Menschen gewesen, so wurden die Häuser der ersten Siedler aus dem Holz der zerlegten Ulmer Schachteln gebaut.

Aus den Kelheimer Riesenplätten wurden keine Häuser gebaut, da diese insgesamt nur 2 Tonnen auf die Waage gebracht haben, somit ein Schleppen am Ufer auch stromaufwärts möglich war. Auf diesen Flößen haben viel weniger Menschen Platz gefunden, war doch eine „Schachtel“ zum Schutz gegen das Wetter aufgebaut. Die Kelheimer Riesenplätten konnten von der Ladung abhängig sogar von 60 Pferden geschleppt werden.

Die Ulmer Schachteln haben im 18. Jh. planmäßig bis nach Ismail verkehrt. Ihr Verschwinden war durch die Eisenbahn bedingt und das letzte Schiff ist 1897 nach Wien gefahren.


Ulmer Schachtel in Hőgyész, Ungarn


Die Schwaben befördernden Schiffe werden häufig an Denkmälern dargestellt. Auf diese Weise wurde die Erinnerung der auf der Donau kommenden Siedler für die Nachwelt verewigt. An der Fassade des Ulmer Rathauses zeigt ein riesiges Gemälde die Ulmer Schachtel, in Regenburg werden sogar beide Schiffarten dargestellt. Auch in Ungarn sind solche Mementos zu sehen, wie am ersten Bild ein Wandgemälde in Visegrád (Plintenburg), ein Schiffmodell in Hőgyész im Komitat Tolna (oben) und ein stilisiertes zierliches Steinbild in Kismaros im Donauknie (unten).
 
Ulmer Schachtel in Kismaros, Donauknie, Ungarn
  
Die Schwaben waren vor zweihundert Jahren mit großen Hoffnungen angekommen und haben sich in den Städten an der Donau freiwillig zusammengesammelt. Sie wurden später in der sich gerade formenden „demokratischen Republik“ in Internierungslagern und dann an Eisenbahnknoten in Schachteln moderner Zeit, nämlich in Viehwagen zusammengepfercht.

„Das Schwabentum kam mit einem Bündel, gehen soll es auch nur mit einem [...]“
Kovács Imre, Nationale Bauernpartei

Übersetzt von Frick József

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